Ein Kompass zur Begriffsfindung — Der Negative Pol
Kurzfassung: Worte können vieles. Vor allem missverstanden werden. Der heutige Beitrag gibt dir einen Kopass, den du auf jede Begriffsfindungsreise mitnehmen solltest.
Missverstehen ist leicht und alltäglich (ich halte mich zurück und vermeide überbeanspruchte Luhmann-Zitate). Dabei stellen Missverständnisse in organisierten Gruppen eine besondere Unterart mit besonderer Tragweite dar. Die unauffälligsten und frustrierendsten Quellen für organisationale Missverständnisse sind ungleiche Auffassung und Interpretation verwendeter Begriffe.
Einfache Handgriffe zum Lösen kniffliger Probleme sind mir immer die liebsten. Die Verwendung des negativen Pols eines Begriffs ist ein — fast schon trivial einfach daherkommender — solcher Kniff. Man streitet sich um die Bedeutung eines Satzes und ein Wort kristalisiert sich als Casus Knacksus? Stell‘ die Frage in den Raum: Was denn das Gegenteil des verwirrungsstiftenden Wortes sei.
Ein Beispiel: Während meines Studiums stolperte ich über eine Forschungsarbeit zum Wort „Theorie“[1]. Die Arbeite analysierte die vielschichtigen Verwendungen des Begriffs und deren unterschiedlichen Implikationen. Ich nehme den Impuls dieser Arbeit auf und wähle hier den Theoriebegriff als Musterfall, da dieser Begriff dir sicher auch sooft als Störenfried untergekommen ist. Beispielhaft: Was bedeutet „Theorie“?
1) Theorie als Gegensatz von Realität (á la „Das funktioniert auch nur in der Theorie“ — Etwas wie: Glaube, Praxisferne, etc.)
2) Theorie als Grundlage eines Experimentes (á la „Ich könnte mir vorstellen, dass das in der Praxis funktionieren könnte“ — Etwas wie: Hypothese, Forschungsfrage, etc.)
3) Theorie als Gegensatz zur Abwesenheit von Mustern (á la „Ich sehe eine Korrelation oder gar Kausalität in einer Wahrnehmung“ — Etwas wie: Muster, Analyse, etc.)
4) Theorie als Gegensatz zu Komplexität (á la „Ich fasse die Detailmenge der Realität zusammen“ — Etwas wie: Indikator, Abstraktion, etc.)
Ich erkläre mich schuldig! Ich habe den Theoriebegriff schon mindestens mehr-als-oft in jeder der Bedeutungen hieroben verwendet. Und als solcher Misstäter alljenen zuwider gehandelt, die behaupten, Worten hätten nur eine Bedeutung, man müsse nicht so viel über Begriffe reden. Aber leider ist Sprache nur dadurch so vielseitig und nützlich, weil Begriffe mit mehreren Bedeutungen angereichert werden können. Ab und zu waren diese verschiedenen Bedeutungen relativ gering (siehe Theorie-3 und Theorie-4) andere Male sogar fast gegensätzlich (siehe Theorie-1 und Theorie-3). Fragte man mich aber im jeweiligen Kontext nach dem negativen Pol des Wortes, erschloss sich die beabsichtigte Bedeutung schnell. Fragte man nicht nach und nahm — gar nicht so unwahrscheinlicherweise — an, ich meinte ein anderes Konzept, verstand man sich miss.
Es passiert, gerade mit abstrakten, komplexen und theoriegeladenen Begriffen („Demokratie“, „Liebe“, „Gerechtigkeit“, etc.), dass die Unterschiedung zwischen Interpretationslinien der Worte schwierig wird und schwerwiegende Missverständnisse auftreten. Gleichzeitig sind es gerade diese abstrakten, komplexen und theoriegeladenen Begriffe, welche für organisierte Gruppen (vom Multi-Billionen-Euro Konzern bis zur Freundesclique) so prozessdominant und richtungsweisend sind.
Daher: Wann immer du erkennst, dass ein Konflikt in einem gegenseitigen Missverstehen von Akteuren versuche die Idee in den Raum zu stellen, was die Begriffe im Kern der Diskussion denn für die Beteiligten eigentlich bedeuten. Frage: Was ist das Gegenteil? Was ist der negative Pol?
Vielen Dank fürs Lesen! Bleib‘ hübsch <3
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[1] Das ICE-Internet verbietet mir eine sinnvolle Recherche um hier zu verlinken.